Das Problem der Vorfragenanknüpfung stellt sich vor allem in den Fällen, in denen die deutsche Kollisionsnorm auf ausländisches Recht verweist, so dass ein ausländisches Recht Wirkungsstatut ist (lex causae).
Das Problem stellt sich, wenn
zwei Bedingungen zusammentreffen:
1. Nach den Kollisionsnormen
des deutsches IPR muss auf die Hauptfrage ausländisches Recht anwendbar
sein.
2. Es muss um einen
Rechtsbegriff im Tatbestand der ausländischen Sachnorm gehen.
z. B.: F hat in D vor einem
Geistlichen die Ehe mit E geschlossen. E stirbt. Laut Bearbeitervermerk
entscheidet die Wirksamkeit der Eheschließung darüber, ob die israelische
Staatsangehörige F Erbin wird. Art. 25 EGBGB verweist auf israelisches Recht.
Die Verweisung wird angenommen. Nach israelischem Sachrecht ist eine
Eheschließung auch unter Mitwirkung eines geistlichen wirksam. Nach deutschem
Recht wäre die Eheschließung gem. Art. 13 III EGBGB; §§ 1309; 1310 BGB
unwirksam. Vorfragenanknüpfung?
In diesen Fällen fragt sich, ob
das ausländische Recht auch für solche vom Wirkungsstatut aufgeworfene Fragen
maßgeblich sein soll, die Gegenstand einer anderen deutschen Kollisionsnorm
sind.
Beachte:
Setzt der Tatbestand einer deutschen Kollisionsnorm eine Vorfrage (im weiteren Sinne) voraus, dann erfolgt die Anknüpfung unstreitig nach allgemeiner Ansicht nach der lex fori, also selbständig nach deutschem Recht. Z. B.: auf die Scheidung ist nach Artt. 17 I 1 iVm 14 I Nr. 1 EGBGB griechisches Recht anzuwenden. Der TB des Art. 17 EGBGB setzt aber voraus, dass eine Ehe besteht (ohne Ehe keine Scheidung). Ob eine Ehe besteht, beurteilt sich also nach dem durch Art. 13 EGBGB bestimmten Recht (selbständige Anknüpfung).
Vertreten werden eine selbständige
Anknüpfung nach dem IPR der lex fori sowie eine unselbständige
Anknüpfung nach dem IPR der lex causae, also nach der auf die Hauptfrage
anwendbaren Rechtsordnung.
Während eine selbständige Anknüpfung
stets die deutschen Kollisionsregeln beruft, kämen bei einer
unselbständigen Anknüpfung vorliegend die Kollisionsregeln der ausländischen
Rechtsordnung zur Anwendung.
Der Streit zwischen den beiden
Ansichten braucht nur dann entschieden werden, wenn sie jeweils zu einem anderen
Ergebnis kommen. Die selbständige und unselbständige Anknüpfung müssen also
zu unterschiedlichen Rechtsordnungen mit verschiedenen Sachvorschriften kommen.
Ansonsten gelangen beide Ansichten zum gleichen Ergebnis.
Die unselbständige Anknüpfung
fördert den internationalen Entscheidungsweinklang, da die Vorfrage so
behandelt wird, wie ein mit ihr befasster Richter im Staat der lex causae sie
behandeln würde. Für eine unselbständige Anknüpfung spricht zudem, dass das
deutsche IPR die Anwendung von ausländischen Recht vorschreibt und wir nun nach
Möglichkeit dieses Recht so anwenden sollten wie der fremde Richter und nicht
bei der nächsten Gelegenheit wieder auf unser eigenes Kollisionsrecht
zurückzuspringen.
Für die selbständige Anknüpfung
spricht dagegen der interne Entscheidungseinklang: Das fragliche
Rechtsverhältnis wird aus der Sicht des deutschen IPR immer gleich beurteilt,
unabhängig davon, ob es als Vor- oder Hauptfrage auftritt; damit soll vermieden
werden, dass ein Rechtsverhältnis von deutschen Gerichten einmal als wirksam,
ein anderes mal als unwirksam angesehen wird. Diese Ansicht entspricht der
Rspr. und der h. L.
Für den Vorrang des inneren vor dem äußeren Entscheidungseinklang sprechen vor allem zwei Argumente:
1. Zum einen ist der
internationale Entscheidungseinklang ein formales Ziel, das nur
mittelbar – durch die Erwartungs- und Sicherheitsinteressen des Rechtsverkehrs
– inhaltliches Gewicht zukommt.
2. Zum anderen sieht man die Befriedungsfunktion
des Rechts gefährdet, wenn ein deutsches Gericht ein und dieselbe
Rechtsfrage (z. B. das Bestehen einer Ehe) als Vorfrage bejahen und als
Hauptfrage verneinen müsste (oder umgekehrt).
In einigen Fällen ist jedoch
ein differenziertes Lösungsmodell vorzugswürdig, wenn z. B.: gewichtige
Interessen einer Person in Frage stehen. Es kann somit auf den auf den
Einzelfall ankommen.
Eine Ausnahme vom Grundsatz der
selbständigen Anknüpfung ist insbesondere dann zu befürworten, wenn im
konkreten Fall die Auslandsbeziehung des Sachverhalts deutlich überwiegt. In
einem solchen Fall kann die Sorge um die Wahrung der internen Harmonie ohne
Schaden zurücktreten gegenüber dem Ziel der internationalen
Entscheidungsgleichheit mit dem Staat, dessen Recht über die Hauptfrage
entscheidet.
z. B.: wenn Ausländer in D nur
in religiöser Form geheiratet haben und dann in ihr Heimatland zurückgekehrt
sind, in dem diese Eheschließung anerkannt wird. Denn zum deutschen
Eheschließungsort besteht keine hinreichende Verknüpfung mehr, und der
Schwerpunkt des SV liegt im ausländischem Heimatstaat, so dass es angemessen
erscheint, die Entscheidungsgleichheit mit diesem Staat in Vordergrund zu
stellen.
Kommt es auf die Gültigkeit
einer Ehe an, kann auch gefragt werden, ob die Ehe tatsächlich gelebt wurde und
dann unter Beachtung dieser Tatsache die günstigere Variante aussuchen –
unselbständige oder selbständige Anknüpfung.
Beachte:
Es existieren zwei Fallgruppen bei denen stets eine unselbständige Anknüpfung stattfindet:
1) Autonomes Kollisionsrecht: Eine
unselbständige Anknüpfung wird für privatrechtliche Vorfragen der a) Staatsangehörigkeit,
zum anderen für familienrechtliche Vorfragen des b) Namensrechts bejaht.
Zu a) Wenn der Erwerb oder der Verlust einer Staatsangehörigkeit von einer
privatrechtlichen, insbesondere familienrechtlichen Vorfrage abhängt (etwa der
Gültigkeit einer Heirat oder der Wirksamkeit einer Adoption), wird diese
Vorfrage nach dem IPR des Staates angeknüpft, um dessen Staatsangehörigkeit es
geht. Dies folgt aus dem Gedanken, dass jeder Staat selbst darüber befinden
soll wen er als seinen Staatsbürger betrachtet. Zu b) Das materielle
Namensrecht macht den Erwerb oder Verlust des Namens häufig von
familienrechtlichen Tatbeständen abhängig, etwa von der Abstammung, der
Eheschließung oder der Adoption. Damit eine Person nicht im Inland diesen und
im Ausland jenen Namen führt, hat die Rspr. die mit dem Erwerb oder dem Verlust
eines Namens zusammenhängenden familienrechtlichen Vorfragen grundsätzlich
unselbständig angeknüpft, vgl. Art. 10 I EGBGB.
2) Kollisionsrechtliche
Staatsverträge inklusive inkorporierte Staatsverträge:
Vorfragen in Staatsverträgen – soweit im Vertrag selbst nichts anderes
angeordnet wird – sind im Interesse des internationalen Entscheidungseinklang
unselbständig anzuknüpfen. Dieser Grundsatz gilt auch für ins nationale Recht
inkorporierte Staatsverträge (insb. Art. 18 EGBGB; Art. 26
EGBGB und Art. 27 – 37 EGBGB). Daher beurteilt der BGH in Art. 18 EBGBGB
die Feststellung der Vaterschaft nach dem für die Unterhaltsverpflichtung
maßgeblichen Recht, knüpft diese Vorfrage also unselbständig an.